Die Alzheimer-Erkrankung ist eine verheerende neurodegenerative Erkrankung, die letztlich zur Demenz führt. Eine wirksame Behandlung gibt es bislang nicht. Im Zuge des Krankheitsprozesses verkleben winzige Eiweißstoffe – Amyloid-Beta-Peptide, kurz »Aß« genannt – und lagern sich im Gehirn ab. Diese Aggregate stehen im Verdacht, Nervenzellen zu schädigen. In jüngsten Jahren hat sich zudem herausgestellt, dass Ablagerungen von Aß entzündliche Prozesse in Gang setzen. Angestoßen werden sie vom angeborenen Immunsystem des Gehirns, dessen Repertoire anders als bei der »adaptiven« Immunabwehr genetisch festgelegt ist. Die Mechanismen, die eine Alzheimer-Erkrankung vorantreiben und Nervenzellen letztlich absterben lassen, wurden im Detail bislang nicht verstanden.
»Die Ablagerung und Ausbreitung von Aβ beginnt wahrscheinlich Jahrzehnte bevor erste klinische Symptome auftreten, beispielsweise Störungen des Kurzeitgedächtnisses. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte daher ein Schlüssel zu neuartigen Therapie-Ansätzen sein. Hier ginge es darum, Alzheimer im Frühstadium zu behandeln, bevor sich geistige Beeinträchtigungen bemerkbar machen«, sagt Prof. Michael Heneka, Arbeitsgruppenleiter am DZNE und Direktor an der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie des Universitätsklinikums Bonn.
Entzündliche Reaktionskette bei Alzheimer-Erkrankung
Prof. Heneka, der auch am Exzellenzcluster »ImmunoSensation« der Universität Bonn beteiligt ist, und Kollegen befassen sich schon länger mit der Frage, wie die Immunreaktion des Gehirns die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung beeinflusst. In früheren Studien, die 2013 ebenfalls in »Nature« veröffentlicht wurden, hatten sie herausgefunden, dass ein molekularer Sensor des angeborenen Immunsystems – ein Proteinkomplex mit der Bezeichnung NLRP3 – eine Schlüsselrolle spielt: Im Gehirn von Alzheimer-Patienten, so zeigte sich, ist NLRP3 aktiviert. Und bei Mäusen mit kognitiven Störungen ähnlich denen von Alzheimer-Patienten ist NLRP3 an der Krankheitsentwicklung beteiligt.
NLRP3 verändert bei Aktvierung seine Struktur und veranlasst das Immunsystem entzündungsfördernde Subtanzen herzustellen. Darüber hinaus verbindet sich NLRP3 bei Aktivierung mit dem Eiweißmolekül ASC. Zellen können derlei Aggregate – sie werden »ASC Specks« genannt – ausschütten. »Die Freisetzung von ASC Specks aus aktivierten Zellen konnte man bisher nur bei Fresszellen, den sogenannten Makrophagen, nachweisen. Doch ihre Bedeutung für den Krankheitsprozess war bisher rätselhaft«, sagt Prof. Eicke Latz, Leiter des Instituts für Angeborene Immunität und Mitglied des Exzellenzclusters »ImmunoSensation« der Universität Bonn.
Verbindung zwischen Entzündung und Neurodegeneration
Die aktuellen Untersuchungen zeigen nun, dass ASC Specks auch von aktivierten Immunzellen des Gehirns – den »Mikroglia« – freigesetzt werden. Darüber hinaus belegen sie eine molekulare Verbindung zur Neurodegeneration. »Wir fanden heraus, dass ASC Specks im extrazellulären Raum an Aß binden und die Ablagerung von Aß fördern. Das trägt direkt zum Fortschreiten der Pathologie und damit zur Krankheitsentwicklung bei«, sagt Heneka.
Ein neuer Ansatz für die Therapie der Alzheimer-Erkrankung?
Diese Einschätzung stützt sich auf eine Reihe von Experimenten mit Mausmodellen der Alzheimer-Krankheit. Die Forscher untersuchten dabei die Wirkung der ASC Specks sowie die ihres Bestandteils, des Proteins ASC auf die Ausbreitung von Aß-Ablagerungen im Gehirn.
»In unserer Studie haben wir zudem durch Analysen von menschlichem Hirngewebe gezeigt, dass Entzündungsreaktionen und Aß-Pathologie beim Menschen in ähnlicher Weise ineinandergreifen können. Zusammenfassend legen unsere Ergebnisse nahe, dass Entzündungen des Gehirns nicht nur eine Begleiterscheinung der Alzheimer-Krankheit sind. Sie tragen vielmehr dazu bei, dass die Erkrankung voranschreitet«, sagt Heneka. »Eine Beeinflussung dieser Immunantwort könnte daher neue Möglichkeiten auftun, Alzheimer zu behandeln.«
Originalpublikation:
»Microglia-derived ASC specks cross-seed ß-amyloid in Alzheimer’s disease«, Carmen Venegas, Sathish Kumar et al., Nature (2017), DOI: 10.1038/nature25158
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